Zu Beginn des 19.Jahrhunderts kommt es in Mitteleuropa zu einer Vorherrschaft Frankreichs unter Napoleon Bonaparte. Diese Vormachtstellung findet im Zuge der als später bezeichneten Befreiungskriege um 1814 ihr Ende und ist im Nachhinein betrachtet maßgeblich für die Bildung der Identität der Deutschen als eine zusammengehörige Nation. Da ich vor nicht allzu langer Zeit im Rahmen eines Geschichtsseminars die Präsentation zum Thema „Befreiungskriege“ halten durfte, empfinde ich es als sinnvoll, dieses abiturrelevante Thema noch einmal für mich selber und alle Interessierten zusammenzufassen. Zusätzlich möchte ich hervorheben, inwiefern Napoleon die Identitätsbildung der Deutschen direkt und indirekt beeinflusste.
Bereits im Jahr 1792 beginnen die Napoleonischen Kriege, die unter immer wieder wechselnden Bündnispartnern auf verschiedenen Schauplätzen in Europa stattfinden. Auf Grund der wechselnden Bündnisse Napoleons und seiner Gegner werden diese kriegerischen Auseinandersetzungen auch Koalitionskriege genannt. Dazu sollte man bedenken, dass sich Frankreich zu diesem Zeitpunkt seit Jahrzehnten fast durchgängig im Kriegszustand mit Großbritannien befindet und die Briten immer mehr Kolonialgebiete an die Franzosen verlieren. Preußen unterliegt Napoleon im Jahr 1806 und muss sein halbes Territorium im Westen an ihn abtreten. Infolgedessen kommt es zu einer kompletten Neuordnung der Grenzen um und in den deutschen Gebieten mit der Auflösung des Heiligen Römischen Reiches. Trotz diesem Verlust gelingt den Preußen durch die Stein-Hardenbergischen Reformen schnell eine militärische Neuaufstellung. Preußische Freikorps unterstützen u.a. Napoleon bei seinem Russlandfeldzug im Jahr 1812, auf dem er trotz seiner 600.000 Mann starken Grande Armee kläglich scheitert und stark geschwächt nach Polen und anschließend über den Rhein zurückkehren muss. Da dieser Feldzug mehr preußische als französische Opfer fordert, kommt zunehmend eine antinapoleonische Haltung in der preußischen Bevölkerung auf. Der preußische Generalfeldmarschall Ludwig Yorck von Wartenburg beschließt noch zum Ende des Jahres 1812 einen Waffenstillstand mit dem russischen General Major Diebitsch. Als Friedrich Wilhelm III. davon erfährt, fühlt er sich vorerst hintergangen und will sich nicht gegen Napoleon stellen, lässt sich jedoch kurz darauf von Beratern wie dem Freiherr von Stein überzeugen. Was Friedrich Wilhelm III. zum Widerstand gegen Napoleon antreibt ist aber letztlich weniger das nationale Bestreben, sondern die Chance auf Wiederherstellung der alten Ordnung.
Der Konflikt mit Napoleon wird jedoch dem Zeitgeist entsprechend als nationales Bestreben beworben und erstmals unter der Überschrift „An mein Volk“ – ruft Friedrich Wilhelm III. die Bevölkerung zum Freiheitskrieg auf. Auch durch die Einführung des Eisernen Kreuzes als Verdienstorden, der von Jedermann alleine durch besondere Leistungen und Tapferkeit – unabhängig von Rang und Stellung erworben werden kann, kommt es zu einem vorher nicht dagewesenen Patriotismus und Kriegsbegeisterung in der Bevölkerung. Trotz ihrer Befreiung von der Allgemeinen Wehrpflicht lassen sich vermehrt Studenten für den militärischen Dienst verpflichten, da sie darin die Möglichkeit sehen, sich Freiheitsrechte und eine Verfassung zu erkämpfen. Auch Juden sind zu jener Zeit in die Wehrpflicht einbezogen und nehmen dies häufig als Chance wahr, sich in die Gesellschaft zu integrieren, wobei ihnen Aufstiegsmöglichkeiten innerhalb des Militärs aufgrund antisemitischer Vorbehalte verwehrt bleiben.
Im Frühjahr 1813 kommt es dann zum offiziellen Koalitionspakt mit Russland seitens Friedrich Wilhelm III. und Preußen beginnt direkt mit der Aufrüstung während russische Truppen bereits über Ostpreußen nach Westeuropa gelangen. Auch die Herzöge von Mecklenburg, Hamburg, Lübeck und anderer Städte im Norden sagen sich von Napoleon los und schließen sich dem Bündnis an. Es folgt der Aufmarsch zum Frühjahrsfeldzug. Nach der gewaltigen Niederlage in Russland sammelt Napoleon sein Heer aus den verstreuten Korps zusammen und es kommt zu mehreren Gefechten in Sachsen, die zu keiner Entscheidung führen. Zur Reorganisation ziehen sich die Verbündeten nach Schlesien zurück und Napoleon willigt einem sechswöchigen Waffenstillstand ein. Währenddessen hofft er vergeblich auf Verständigung mit Russland oder Österreich. Die Zustimmung zum Waffenstillstand soll Napoleon später als den größten Fehler seines Lebens bezeichnet haben, da Österreich im Zuge des Waffenstillstands den Allianzvertrag mit Preußen und Russland abschließt und Napoleon den Krieg erklärt. Grundlage des Allianzvertrages von August 1813 ist die Wiederherstellung der monarchischen Ordnung sowie der Landesgrenzen von 1805. Ebenso stellt sich Schweden gegen Napoleon, da dieser während seiner Feldzüge widerrechtlich die Besetzung von Schwedisch-Pommern angeordnet habe. Auch Großbritannien unterstützt das Bündnis gegen seinen Erzfeind Frankreich mit Subsidien und Expeditionstruppen. Während des folgenden Herbstfeldzugs kommt es vom 16. bis 19.10.1813 zur großen Völkerschlacht, der bis dahin größten und blutigsten Schlacht der Weltgeschichte, einem 4-tätigen Kampfgeschehen rund um Leipzig im Königreich Sachsen, welches zu der Zeit noch zum napoleonisch beherrschten Rheinbund zählt. Napoleon schafft es mit Polen und den Rheinbundstaaten ca. 200.000 Mann um Leipzig zu versammeln, während die Allianz ihre Truppenstärke bis zum 4.Tag auf ca. 400.000 Mann aus 3 Armeen vermehren kann. Napoleon rechnet nicht mit diesem Aufgebot, da er Österreich trotz der Kriegserklärung nicht miteinkalkuliert. Lediglich am 1.Tag kann Napoleon sich offensiv behaupten, wird jedoch bereits am 2.Tag in die Defensive gedrängt. Am 3. Tag wechseln die Sachsen spontan die Seite und Napoleon tritt am 19.10. geschlagen den Rückzug an. Man geht davon aus, dass die Völkerschlacht insgesamt 90.000 bis 120.000 Tote hervorgebracht habe. Die unmittelbare Folge für Napoleon ist der Einbruch seiner Macht durch die Auflösung des Rheinbundes, die Befreiung Hollands und der Schweiz von französischen Truppen und der Absetzung von Napoleons Schwager als König von Neapel. Außerdem bekommen die Spanier wieder ihren König und der Papst kehrt aus dem Exil nach Rom zurück und der Großteil der Kolonien ist bereits wieder an England verloren. Napoleon gerät nun durch die Unzufriedenheit der Bevölkerung auch innenpolitisch unter Druck und viele Franzosen verweigern sich dem Kriegsdienst. Doch trotz seiner Rückschläge sieht sich Napoleon noch nicht als Verlierer. Stattdessen schlägt er ein Ultimatum der Alliierten aus, welches die Auflösung des Rheinbundes, die Aufgabe des Großherzogtums Warschau sowie die Wiederherstellung Preußens in den Grenzen von 1806 vorsieht. Immer noch fühlt er sich mächtig genug Angriffe der Alliierten abzuwehren. Diese einigen sich daraufhin auf die Wiederherstellung der Bourbonenherrschaft in Frankreich und es kommt im Frühjahr 1814 zu einem direkten Angriff und mehreren Schlachten in Frankreich. Österreich, Russland, Großbritannien und Preußen schließen eine Quadrupelallianz, ein Bündnis der Vier Mächte, welches die Unabhängigkeit für napoleonisch besetzte Länder garantiert. Gegen Ende März 1814 kommt es zur (vorerst) endgültigen Niederlage Napoleons in Arcis-sur-Aube und der Einnahme von Paris. Napoleon wird am 12.4.1814 dazu gezwungen, seine Abdankungsurkunde zu unterzeichnen. Sein Nachfolger wird der Bourbone Ludwig XVIII. Napoleon wird auf die Insel Elba im Mittelmeer verbannt und diese wird ihm als sein Fürstentum zugesprochen. Am 18.9.1814 beginnt der Wiener Kongress zur Festlegung der territorialen Ordnung innerhalb Europas. Am 1.3.1815 kehrt Napoleon plötzlich nach Frankreich zurück und reißt mit Zustimmung der Bevölkerung die Herrschaft an sich. Er formiert eine neue Armee von 125.000 Mann und greift am 18.6.1815 die Armee des Bündnis bei Waterloo (Belgien) an und verliert endgültig(!). Es folgt seine Verbannung auf St. Helena im Südatlantik unter der Bewachung englischer Soldaten um eine weitere Rückkehr auszuschließen. Am 5.5.1821 stirbt Napoleon und wird auf St. Helena begraben.
Der Wiener Kongress kann bei weitem nicht alle territorialen Änderungen Napoleons rückgängig machen. Durch seine Neuordnung der Grenzen und Staaten sowie durch das Einheitsgefühl der Deutschen, welches in den Befreiungskriegen aufkommt legt Napoleon den Grundstein für die Gründung des Deutschen Bundes sowie des späteren Deutschen Kaiserreichs. Dieses besagte Einheitsgefühl basierend auf dem Hass gegen eine andere Nation soll bei den Deutschen jedoch noch im Nationalsozialismus ausarten. Auch die Wahrzeichen der Befreiungskriege wie etwa das Völkerschlachtdenkmal in Leipzig werden fortlaufend für patriotische Mythen und als Propagandamittel missbraucht. Ihren Ursprung in den Befreiungskriegen haben auch die Farben der heutigen Deutschen Flagge: Schwarz-Rot-Gold. Genaugenommen gehen diese auf die Farben der Uniform der Lützowschen Freikorps, die sich im Kampf gegen Napoleon beteiligten zurück. Zusammengefasst lässt sich also sagen, dass Napoleon nicht nur direkt auf territorialer Ebene, sondern auch indirekt auf identitätsstiftender Ebene und im Folgenden auch auf ideologischer Ebene für die Gründung und Entwicklung der Deutschen als eine zusammengehörige Nation ausschlaggebend und wegweisend ist.
Völkerschlachtdenkmal in Leipzig
