Tosend und gewaltig ertönt das Lied der gequälten Seelen, hallt von den Mauern des Ortes wieder, den die Menschen Hölle nennen. Tagein, tagaus die gleichen Klänge, die gleichen Töne, getragen von den heiseren Kehlen, heraufbeschwören durch Pein und Schmerz. Die Hölle ist kein schöner Ort, gewiss nicht.
Tagein, tagaus höre ich sie, all jene Schreie, die sich nach der Vergangenheit sehnen und
von der Angst vor der Zukunft erzählen.
Einst war es Musik in meinen Ohren, zu der ich mich tanzend über die Pfade bewegen wollte. Einst, als ich noch angesehen war, als ich Seele um Seele in die Hölle beförderte.
Einst, vor langer, langer Zeit.
Früher war alles besser, früher haben die Menschen geglaubt und wer an Gott glaubt, der muss auch an seinen Gegenspieler glauben.
Ich musste mir nicht viel Mühe machen, allein meine Anwesenheit sorgte dafür, dass gerade die feinfühligeren Menschen wussten wessen Anwesenheit sich nun in ihrem Heim befindet. Wenn die Temperatur sank und Geräusche, ohne dazugehörige Quelle, zu hören waren, Gegenstände sich bewegten oder Türen plötzlich zuknallten, dann wussten die Menschen, dass es nicht mit rechten Dingen zugeht und sie bekamen Angst.
Angst verströmt ein solchen herrlichen Geruch, dass ich manches Mal länger an diesen Orten wollte.
Schlug ich ihnen eine Tür vor der Nase zu, öffneten sie mir durch ihre Angst eine andere und wenn ich diese durchschritt, dann gelangte ich an die endlose Macht über diesen zerbrechlichen Körper. Damit war ihr Schicksal besiegelt und ihre Seelen waren gezeichnet.
Einst, vor langer Zeit, war dies so einfach, doch nun in einem Zeitalter, in dem sich die Menschen der Wissenschaft zugewandt haben, ist es gar nicht mehr so einfach Angst zu erzeugen. Es ist deutlich zeitintensiver und ich muss mich sehr viel mehr anstrengen. Wenn ich jetzt eine Tür zuschlagen lasse, ist der Wind schuld. Lasse ich Gegenstände fallen oder verschwinden, zweifeln sie an ihrer eigenen Wahrnehmung. Es kommt ihnen nicht mal ansatzweise in den Sinn, dass ein Dämon sie heimsucht.
Also nutzte ich schwerere Geschütze, so habe ich erst vor einigen Tagen das ganze Wohnzimmermobiliar eines Mannes, dessen Seele ich zeichnen sollte, einige Zentimeter über dem Boden schweben lassen. Das war ein Spaß. Der Blick war derart fassungslos und schockiert, dass ich dachte mein Ziel erreicht zu haben. Stattdessen hat der gute Herr sich einweisen lassen und sitzt nun in Gesprächskreisen, während er tagein tagaus über seine schwebende Möbel erzählt. Und ich, ich war nach der Schwebeaktion so alle, dass ich zwei Tage lang ruhen musste und meine Kräfte regenerieren musste, ohne die Zeichnung seiner Seele.
Vor einigen Wochen machte ich sogar die Mühe bei einer Dame in die Wohnung einzuziehen. Normalerweise halte ich mich nur kurzfristig in der menschlichen Welt auf. Doch bei ihr wollte ich es nicht vermasseln. Meine Kollegen, die zuvor eingeteilt waren, scheiterten. Daher dachte ich, meine Stunde ist gekommen, ich beweise mich und steige wieder im Ansehen, gerade bei ihm. Sieben Tage lang ertrug ich die Anwesenheit dieser Frau, ihre viel zu hohe Stimme, ihr aufgesetztes Lachen und natürlich das permanente „Huch“. Jedes Mal sagte sie es, wenn ich am Werk war. Einfach „Huch“. Ich konnte machen, was ich wollte. Ich habe entgegen meines Stolzes, sogar meine Stimme verlauten lassen, indem ich sie nachts aus vollster Kehle anschrie. Ein tiefes, lautes Grollen, das einem Donnergrollen gleicht.
Früher, als das Leben noch einfach war, sind Menschen allein beim Klang meiner Stimme vor Angst verrückt geworden. Nur ein kleines Flüstern reichte. Noch nie zuvor habe ich geschrien und dementsprechend malte ich mir natürlich eine Reaktion aus, die dieser Tat angemessen ist. Stattdessen stand diese Frau auf, ging zum Fenster und überprüfte, ob es gewitterte. Mit einem Ruck zog sie die Vorhänge zu und ging wieder zu Bett und ich stand da, fassungslos und schockiert, und gab auf. Genau wie es meine Vorgänger taten.
Lange dauert es nicht mehr und wir sind alle arbeitslos. Die Hölle macht zu und dann viel Spaß. Dann gibt es nur noch den Himmel und wie wir alle, unabhängig von der Spezies, wissen: Licht kann nicht ohne Dunkelheit existieren.
