Ich schaue in den Spiegel. “3 Jahre Abitur…”, denke ich mir. Daher kommen wohl auch die ersten Fältchen. Oder sind es eher schon Falten? Ich bin nicht eitel. Oder besser gesagt: Ich bin es nicht mehr. Früher war ich es. Damals hatte ich auch noch Zeit und Geld für Kosmetik und schicke Klamotten – Modetrends folgen? Damals kein Problem. Neue Schuhe für jede Saison? Kein Thema! Warum habe ich das alles eigentlich nochmal aufgegeben? Achja. Allgemeinwohl. Etwas verändern, etwas tun, was mehr bewirkt als nur meinen Geldbeutel füllen. Dem Kapitalismus den Rücken kehren… Ach süße Provision. Was würde ich tun um noch einmal dein zauberhaftes + auf meinem Konto zu erblicken? Auch wenn ich jetzt hier sitze, Konto mal wieder im Minus – BaföG regelt! – ohne meine schicken Sachen und teure Schminke, sitze ich hier auch mit etwas, das wertvoller ist, als Optik und Selbstverliebtheit. Ich bin an mir gewachsen. Ich bin an diesem Abitur gewachsen.
Zu Beginn, dem 15.08.2019, war ich noch naiv. Medizin sollte es damals werden. Ich wollte wirklich was verändern. Menschen helfen in allen Ländern der Welt. Dann kam Chemie und Mathe und Physik und – HOLY SHIT – bin ich schlecht darin. Ich denke meine Mathelehrer müssen die Bank durch alle verzweifeln. Aber mit meiner positiven Einstellung: Man kann alles lernen, wenn man sich nur genug anstrengt, beiße ich mich fest. So fest wie ein Faultier seinen Baum umklammert, umklammere ich die Naturwissenschaftlichen Fächer, schließlich will ich ja was verändern! Dabei wollen die Fächer nur weg von mir und ich denke die Lehrer haben sicher auch das ein oder andere Mal gelacht beim korrigieren. Wie zum Beispiel, als ich in Physik heraus fand, dass Dinge weniger Gravitation haben, je schwerer sie sind… Es hat mich also erstmal ein ganzes Jahr Kraft und Zeit gekostet, damit abzuschließen und zu akzeptieren, dass ich nicht der nächste Doktor House werde.
Die Orientierungsphase war also jetzt rum und meine Noten glänzten genau da, wo ich damals dachte, dass man damit nichts anfangen könne: Sprachliche Fächer. Der Autor schreibt, dass die Gardinen in zartrosa, der Sonne schmeichelten und ich sage dir, was der Kerl zum Frühstück hatte. Kein Thema. Aber Vektoren berechnen? Keine Chance! Ich war also in dem Maße “begabt”, dass ich ein großes sprachliches Verständnis hatte. Nur war ich zu diesem Zeitpunkt der Überzeugung, dass Google Translate spätestens 2022 die Übersetzungen der Weltgemeinschaft übernehmen wird und fand mein Talent dementsprechend sinnfrei. Aber da stand ich ja nun: Job weg, Schule da. Was tun? Ich setzte mich also hin und überlegte mir einen Plan B.
Nachdem ich also begriffen hatte, dass manche Dinge einem Menschen einfach nicht liegen und man sich definitiv nicht alles durch stures lernen aneignen kann, strukturierte ich mein Schulisches Ich komplett um. Das sprachliche Profil war mein neuer Weg zum “Was-auch-immer-ich-damit-anfangen-kann” – und zack! Meine Frustration machte Platz für die schönsten Momente der Anerkennung: Ich verstand was die Lehrer*innen sagten, die Lehrer*innen verstanden was ich sagte. Die Kommunikation mit der anderen Seite war also hergestellt und nun galt es nur noch, diese nicht abbrechen zu lassen. Ich stürzte mich also wieder in mein ehrgeiziges Büffeln, setzte mich ohne Ende unter Druck und bin im 12er Jahr so nah am Burnout vorbeigeschlittert wie nie in meiner Berufslaufbahn. Aber ich habe aus meinen Fehlern gelernt. Mit mehr unentschuldigten Fehlzeiten als mir lieb war, habe ich es geschafft mich aus der Misere zu ziehen, meine seelische Gesundheit wieder herzustellen und langsam, aber sicher, eine gute Work/Life Balance zu entwickeln. Harter Weg bis hierhin.
Während meiner Entwicklung von “alles muss perfekt sein” zu “ich gebe einfach mein bestes in Maßen” wurde mir klar, was für eine Berufsgruppe ich für mein zukünftiges Leben anstreben würde: den Beruf des Lehrers. Menschen, die dafür verantwortliche sind andere Menschen zu bewerten, aufgrund ihrer Leistung und ihres Verhaltens, jeden Tag aufs Neue. Es geht um Gerechtigkeit, um Zukunft, um Verständnis. Darum da zu sein für die ahnungslosen Kleinen Dummies, die eigentlich auch irgendwie nur weg von all dem wollen. Ich habe damals wirklich durch Zufall meinen Traumjob gefunden. Einfach nur deshalb, weil ich gesehen habe, was Lehrer*innen jeden Tag leisten. Bewundernswert! Egal wie blöd man Lehrer*innen kommt, die haben immer eine Antwort auf Lager. In der letzten Ärmeltasche ist noch das pädagogische Ermessen, falls alle Stricke reißen. Die Fähigkeit von Lehrer*innen uns zu maßregeln, aber auf eine pädagogische Art und Weise. Uns zu motivieren neue Ufer zu suchen und und selbst immer neu zu finden, dass es ok ist zu scheitern. Man muss es nur immer wieder versuchen, an anderen Stellen. Das macht Schule so vergleichbar wie Dark Souls, nur dass Lehrer*innen uns an die Hand nehmen, uns zeigen welchen Glitch wir nutzen können um den Boss doch noch zu legen, solange wir nicht aufgeben.
Ich bin jetzt in der 13. Klasse, mein Abitur steht vor der Tür und ich weiß nicht ob ich bereit bin sie zu öffnen. Ich hatte wunderbare Lehrer*innen. Frau Ruszynski, die mich durch ihren Anspruch immer wieder motiviert hat über mich hinaus zu wachsen und zudem über einen unglaublich guten Modegeschmack verfügt. Frau Mencke, die mich dazu gekriegt hat die Englische Sprache noch mehr zu lieben, als zuvor und es durch ihre fröhliche Art immer geschafft hat auch meine schlechten Tage in der Schule etwas netter zu machen. Herr Kruse, der durch seine offene, entspannte Art meinen Horizont erweitert hat – man darf nicht immer nur in eine Richtung schauen, am Ende ist alles nur ein Bild der Pfeife. Frau Lieb, die ihre Liebe zu Frankreich erfolgreich weitergegeben hat und außerdem auch so eine ganz fantastische und humorvolle Person ist. Frau Weinreich, die mich durch ihre fürsorgliche und menschliche Art soviel über das Leben gelehrt hat, über das Miteinander und natürlich auch über Gartenpflege. Herr Bausch, der mir hoffentlich verzeiht, dass ich so derartig mies in Mathe bin. Auch wenn ich häufig nicht verstanden habe, was los war, hat er doch nie aufgegeben es mir zu erklären, das schätze ich wirklich sehr. Und zuletzt Herr Gunkel, bei dem ich gestehen muss, dass ich immer ein bisschen Angst vor ihm hatte. Bis zur letzten Philosophie Stunde, da habe ich ihn lachen gesehen und das hat ihn doch etwas nahbarer gemacht. Etwas.
Ich bin allen Lehrer*innen, die ich in meiner Schullaufbahn kennen lernen durfte unglaublich dankbar, denn Sie alle haben mich dahin gebracht zu erkennen, welchen Weg ich gehen möchte und haben mir geholfen mich weiter zu entwickeln. Wir hatten unsere Ups und Downs, von denen Lehrer*innen ja meistens eher weniger mitkriegen. Aber ich bin daran gewachsen und das ist wirklich ein tolles Gefühl. Also diese Tür Abitur ist jetzt hier und langsam, ganz langsam werde ich sie öffnen. Sie waren tolle Wegbegleiter. Ich weiß auch nicht wie häufig Lehrer*innen das in der Erwachsenenbildung hören, denn Ihnen malt ja kein Schüler mehr Bilder oder singt was feines für Sie, aber was mich angeht, haben Sie alle einen top Job gemacht. Ich bin bereit für das, was mich erwartet und das verdanke ich mir selbst, aber eben auch Ihnen – meinen Lehrern.

Jahrgang 80, schreibe gerne 😉